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Ein Kommentar von Sven Slazenger, Leiter AK IPTV des Bundesverbands der Dienstleister für Online-Anbieter BDOA und Geschäftsführer der Interlake. 


Das neue Fernsehen

 
Viele Diskussionen kreisen derzeit um die Bedeutung von
Online Video Angeboten. Meist geht es um Erlösmodelle, die Frage der
Monetarisierung und die Verbindung von Klassischem Fernsehen mit Online Video.
Fast immer wird dabei übersehen, dass der grundlegende Wandel schon geschehen
ist. Die klassischen Fernsehsender sind bereits weit ins Abseits geraten und
drohen den Status des Massenmediums zu verlieren. ARD, ZDF, RTL und
ProSiebenSat1 sind – wenn überhaupt – nur noch Transportkanal für
Abfallprodukte der neuen Medienhäuser. Die gehören oft gar nicht mehr zu den
Fernsehkonzernen, sondern haben diese längst überholt.
 
 

Alte Sender für alte Leute

 
Die klassischen Sender erreichen fast nur noch ältere
Menschen. Das Durchschnittsalter der Zuseher der privaten Sender ist inzwischen
längst jenseits der 50, das von ARD und ZDF weit jenseits der 60. Werbeerlöse
brechen massiv ein. Die Reichweiten sinken. Wer heute die Schüler und Azubis in
Deutschland fragt, ob sie einen Fernseher besitzen erhält oft eine negative
Antwort. Junge Menschen konsumieren Bewegtbild, aber nicht mehr linear und
nicht mehr über das klassische TV Gerät. Notebook, Tablet und Smartphone sind
die Geräte der Wahl. Die von den jungen Menschen gewählten Anbieter der so transportierten
Inhalte sind meist auch keine klassischen Sender mehr, sondern neue Anbieter,
die aus dem Internet entstanden und inzwischen groß geworden sind. Dazu zählen
nicht nur Kinoangebote wie Maxdome, sondern auch YouTube, das inzwischen weit
mehr als Videos von Katzen liefert und von zahlreichen neuen Medienakteuren als
Verbreitungsplattform entdeckt wurde. YouTube verfügt zudem über eine weit
größere Reichweite als klassische TV Sender und bietet für gut gemachte Inhalte
eine weitaus bessere Refinanzierungsmöglichkeit durch Werbeeinnahmen.
 
 

Von der Musik- und Verlagsbranche lernen

 
Die TV Anstalten scheinen so mit der Konsolidierung ihres
Betriebes unter dem Einfluss einbrechender Werbeerlöse zu stehen, dass sie
weitgehend blind für die Entwicklungen anderer Branchen sind. Die Musikbranche
hat vor Zehn Jahren einen grundlegenden Wandel erlebt. Dank Internet wurde
Musik illegal getauscht. CD Verkäufe brachen ein, die Drohung Raubkopien seien
illegal verhallte. Erst als der Verfall der Erlösmodelle nicht mehr aufzuhalten
war, reagierte die Branche – getrieben vom Online Pionier Apple – und stellte
über iTunes und andere Portale Musiktitel für kleines Geld zur Verfügung.
Inzwischen ist die Abo-Flatrate für Musikstreams das Standardmodell. Gute Musik
für kleines Geld komfortabel zu konsumieren hat sich als praktischer für die
Nutzer erwiesen als lange einzelne Titel im Internet zu suchen und illegal
herunterzuladen. Die Umsätze steigen wieder. Neue Geschäftsmodelle sind
etabliert.
 
Die Verlage haben ähnliches erlebt. Viele haben die
Schrumpfungskur bereits hinter sich, die den großen TV Sendern noch bevorsteht.
Lange wurde bereits mit Online Redaktionen experimentiert, die aber immer nur
an die klassischen Redaktionen angedockt waren und selten ernst genommen
wurden. Die Axel Springer AG hat als erster erkannt, dass der Konzern kein
Verlagshaus mehr sein kann wenn er überleben will, sondern sich in ein
Medienhaus der neuen Art verwandeln muss. Inzwischen wurden die Redaktionen
radikal umgebaut. Die Tageszeitung ist nur noch Abfallprodukt von Online. Das
macht auch Sinn, denn Online ändert sich im Minutentakt, die Printausgabe nur
alle 24 Stunden und die WELT am Sonntag nur alle sieben Tage. Die Chefredaktion
und die gesamten Ressorts stehen inzwischen hauptsächlich den Onlinern zur
Verfügung. Das spiegelt sich auch im Newsroom wider, der komplett umgebaut
wurde. 2/3 der Fläche steht den Redakteuren der Onlineausgabe zur Verfügung,
das restliche Drittel teilen sich die Redkatuere der WELT Druckausgabe und der
WELT am Sonntag. Der Kulturelle Wandel ist schwierig. Die Onliner sind nicht
mehr selbständig, sondern wurden von der klassischen Chefredaktion übernommen
und sozusagen entmachtet. Die Printredakteure wiederum mussten ihre wichtige
Stellung an die Onliner abgeben. Diese Veränderung in den Köpfen klappt nur,
wenn alle von der Geschäftsführung mitgenommen werden. Springer gelingt das,
viele andere Verlage sind noch nicht so weit. Bei TV Sendern sucht man diese
realistische Sicht der Zukunft und der Veränderung meist noch vergeblich. Zusätzlich
hat Deutschland den Standortnachteil der Rundfunkgebühren, die den Wandel des
klassischen Fernsehens zumindest bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten gar
nicht notwendig machen.
 
 

Die neuen Akteure

 
Doch wer sind die neuen Akteure, wer ist das „neue
Fernsehen“. Sender ist im Prinzip heute jeder. Dank Internet und der
Delinearisierung der Videokonsum steht jedem der Zugang zu den Konsumenten
offen. Satelliten und große Sendeanlagen sind überflüssig. Es gibt zumindest im
Moment noch keine neuen Gatekeeper. Aggregatoren wie YouTube und andere
entstehen allerdings und professionalisieren sich. Die werden in Zukunft
bestimmen, welche Zugangsbarrieren die neuen Sender haben, um ihr Publikum zu
erreichen. Letztlich wird aber – wie immer – Angebot und Nachfrage das Programm
regeln.
Die neuen Akteure sind oft Nischenangebote. Von Horse Media
TV bis hin zu FotoTV gibt es zahlreiche Spezialangebote, die bereits über
eigene Abomodelle oder YouTube Werbeeinahmen Geld verdienen und oft schon jetzt
schwarze Zahlen schreiben. Axel Springer kauft derzeit wie viele andere bereits
gewandelte Medienhäuser verstärkt solche Nischenanbieter ein. Klassische
Nachrichtenmeldungen sind inzwischen Allgemeingut geworden und frei Verfügbar.
Spezielle Inhalte, die ansonsten nicht verfügbar sind können in gebündelter
Form jedoch ein großes Publikum erreichen. Ob sich diese fragmentierte Welt
sinnvoll bündeln und vermarkten lässt testen derzeit zahlreiche Aggregatoren
von Nischeninhalten, die Zugriffszahlen bündeln und eine Vermarktung
erleichtern. Zumindest einige dieser Aggregatoren gehören inzwischen auch den
klassischen TV Anstalten. Vielleicht ist es für einen Wandel der TV Riesen doch
noch nicht zu spät.
 
 
Sven Slazenger, Leiter AK IPTV des BDOA e.V. und Geschäftsführer der Interlake Media GmbH.