Legacy-Modernisierung: Strategien, Risiken und Best Practices für nachhaltige IT-Transformation
Legacy-Systeme sind das Rückgrat vieler Unternehmen – und zugleich deren größter Innovationshemmer. Jahrzehntelang haben sie zuverlässig Rechnungen verarbeitet, Versicherungsverträge verwaltet oder Produktionsanlagen gesteuert. Sie enthalten wertvolle Geschäftslogik, sind tief in Abläufe eingebettet und für den laufenden Betrieb unverzichtbar.
Doch mit wachsenden Sicherheitsrisiken und mangelnder Skalierbarkeit wird ihre Modernisierung zur strategischen Notwendigkeit. Studien zeigen: 95 % der Unternehmen betrachten die Modernisierung ihrer Legacy-Systeme als entscheidend für ihren Geschäftserfolg. Wer zu lange wartet, riskiert Stillstand, steigende Kosten und wachsende Angriffsflächen für Cyberkriminalität.
In diesem Artikel beleuchte ich die wichtigsten Gründe, Strategien und Best Practices für eine erfolgreiche Modernisierung – und zeige anhand von Praxisbeispielen, wie Unternehmen durch bewusste Transformation, Modularisierung und Microservices ihre Legacy-Risiken nachhaltig transformieren können.
Warum Legacy-Systeme modernisiert werden müssen
Legacy-Systeme sind nicht nur technisch problematisch – sie wirken wie ein Schuldengrab, das Innovation und Motivation gleichermaßen blockiert. Die wichtigsten Problemfelder:
- Technisches Schuldengrab und veraltete Architektur
- Monolithische Applikationen sind meist eng verwoben, schwer zu entkoppeln und nicht/schlecht skalierbar
- Veralteter Code und fehlende Dokumentation machen Änderungen riskanter als sie sein sollten.
- Performanceprobleme belasten Geschäftsprozesse und Kundenerlebnisse
- Fehlende Automatisierung (Builds, Tests, Deployments) verlangsamt jede Änderung
Praxisbeispiel: Ein Telekommunikationsanbieter konnte ein neues Kundenportal nicht starten, weil jede Erweiterung am alten Billing-System ein sechsmonatiges Testprojekt erforderte.
- Wackliges Fundament ohne Sicherheitsnetz
- Angst vor Ausfällen: fehlendes Monitoring, kaum Tests, keine automatisierten Rollbacks
- IT-Security-Risiken: fehlende Updates, keine Zero-Trust-Konzepte, unklare DSGVO-Konformität, Due-Diligence-Probleme
- Kein klares Architekturzielbild: Teams flicken am Bestehenden, statt eine nachhaltige Zukunft zu gestalten
Praxisbeispiel: Eine öffentliche Verwaltung verzögerte den Launch eines digitalen Bürgerportals um Jahre – aus Sorge, dass das Kernsystem bei Änderungen instabil wird.
- Menschliche und organisatorische Herausforderungen
- Frust im Team: Nur wenige kennen den Code, Wissen ist in „Blackbox“-Köpfen eingeschlossen
- Fehlende Weiterentwicklung: Entwickler müssen in veralteten Technologien verharren und verlassen darum das Unternehmen
- User-Unzufriedenheit: Roadmaps werden nicht eingehalten, Features kommen zu spät oder gar nicht
- Blockierte Innovation: Neue Geschäftsideen scheitern, weil der Legacy-Stack Anpassungen nicht zulässt
Wann Legacy-Systeme wirklich modernisiert werden
Die meisten Unternehmen wissen, dass ihre Legacy-Systeme zum Problem werden – trotzdem fällt die Entscheidung zur Modernisierung oft viel zu spät. Warum?
Typische Gründe für Verzögerungen
- Kostenangst
Modernisierung klingt nach Millionenprojekten. Das Risiko, Geld „zu verbrennen“, lähmt. - Betriebsrisiko
„Never touch a running system“ – solange das System läuft, scheuen Verantwortliche jede Veränderung. - Komplexität und Abhängigkeiten
Legacy-Systeme sind tief in Prozesse, Schnittstellen und Partner-Ökosysteme eingebettet. Jede Änderung wirkt bedrohlich. - Fehlender Leidensdruck
Solange Probleme „nur“ höhere Wartungskosten oder langsame Prozesse sind, fehlt oft die Dringlichkeit. Erst wenn es kracht (Ausfall, Cyberangriff, Compliance-Verstoß), kommt Bewegung ins Spiel. - Mangel an Know-how
Viele Unternehmen haben weder intern die Skills noch extern Partner, die Legacy und moderne Architekturen gleichermaßen verstehen.
Wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist
- Wenn das System Innovation blockiert: Roadmaps werden nicht eingehalten, einfache Features dauern Monate
- Wenn die Abhängigkeit von Einzelpersonen wächst: Nur noch „der eine COBOL-Entwickler“ kennt den Code
- Wenn Sicherheits- oder Compliance-Lücken bestehen: DSGVO, BAIT oder branchenspezifische Vorgaben nicht mehr erfüllt werden
- Wenn Kosten unverhältnismäßig steigen: Wartung und Betrieb fressen einen Großteil des IT-Budgets
- Wenn Business-Chancen verloren gehen: Konkurrenz bringt neue Produkte schneller auf den Markt.
Warum die Entscheidung oft zu spät fällt
Die Modernisierung ist selten eine technische, sondern vor allem eine politische und kulturelle Entscheidung:
- Fachbereiche fürchten Unterbrechungen und Projektverzögerungen.
- Management unterschätzt die strategische Dimension und sieht nur „Kosten“
- IT ist zwischen „am Laufen halten“ und „erneuern“ zerrissen
Strategien zur Modernisierung
Die Wahl der richtigen Strategie hängt von Ausgangslage, Zielen und Budget ab. In der Praxis kommen meist hybride Ansätze zum Einsatz, die schrittweise vorgehen und Risiken minimieren.
- Rehosting („Lift & Shift“): Anwendungen werden ohne Codeänderung auf eine neue Infrastruktur migriert – etwa in eine Cloud-VM
Vorteil: Schnell und kostengünstig, da keine Codeänderungen nötig sind
Nachteil: Technische Schulden bleiben bestehen, Optimierungspotenziale bleiben ungenutzt - Replatforming: Optimierung der Anwendung für eine neue Plattform, z. B. durch Containerisierung oder moderne Datenbanken
Vorteil: Verbesserte Skalierbarkeit und Flexibilität durch Anpassung an neue Plattformen (z. B. Container)
Nachteil: Erfordert Anpassungen im Code und bringt zusätzliche Migrationsaufwände - Refactoring: Überarbeitung des Quellcodes, Modularisierung und Einführung von Clean-Code-Prinzipien.
Vorteil: Bessere Wartbarkeit und Zukunftssicherheit durch sauberen, modularen Code.
Nachteil: Zeit- und ressourcenintensiv, mit begrenztem sichtbaren Business-Mehrwert während der Umsetzung.
Praxisbeispiel: Ein mittelständisches Logistikunternehmen zerlegte seinen Java-Monolithen in klar abgegrenzte Module (Customer, Orders, Billing). Diese Modularisierung war der erste Schritt hin zu Microservices, die später in Containern betrieben wurden.
- Rearchitecting: Neuentwicklung auf Basis moderner Architekturprinzipien (Microservices, Event-Driven, Cloud-native).
Vorteil: Moderne Architektur (z. B. Microservices, Cloud-native) ermöglicht hohe Agilität und Innovation
Nachteil: Hoher Aufwand, komplexes Projekt mit erhöhtem Risiko
Praxisbeispiel: Eine Onlinebank ersetzte ihr Kernbankensystem durch eine Microservices-Architektur. Jeder Service verantwortet nun eine fachliche Domäne (z. B. Kontoführung, Zahlungsverkehr). Änderungen können unabhängig deployt werden – Release-Zyklen verkürzten sich von Monaten auf Tage.
- Rebuilding
Komplette Neuentwicklung unter Beibehaltung der fachlichen Anforderungen.
Vorteil: Komplette Neuentwicklung erlaubt den Einsatz modernster Technologien und sauberer Architektur
Nachteil: Sehr teuer und zeitaufwendig, Risiko von Funktions- oder Wissensverlust - Replacement
Ablösung durch eine Standardlösung oder SaaS-Anwendung.
Vorteil: Standardlösungen oder SaaS bieten schnelle Verfügbarkeit und geringere Betriebskosten
Nachteil: Begrenzte Anpassbarkeit und Abhängigkeit vom Anbieter (Vendor Lock-in)
Modularisierung und Microservices als Schlüssel
Ein Kernproblem vieler Legacy-Systeme ist ihr monolithischer Aufbau. Fachlogik, Datenzugriffe und Schnittstellen sind eng miteinander verwoben. Änderungen in einem Modul können Seiteneffekte an völlig anderer Stelle auslösen – mit hohem Test- und Wartungsaufwand.
Modularisierung als erster Schritt
Modularisierung bedeutet, die Geschäftslogik in fachlich abgegrenzte, lose gekoppelte Module zu zerlegen. Vorteile:
- Bessere Wartbarkeit und Verständlichkeit
- Möglichkeit, einzelne Module schrittweise zu modernisieren oder zu ersetzen
- Grundlage für API-basierte Integration
Microservices als Zielarchitektur
Microservices gehen noch einen Schritt weiter: Jedes Modul wird als eigenständiger Service mit eigener Datenhaltung und klaren Schnittstellen betrieben. Typische Eigenschaften:
- Autonome Deployments (Continuous Delivery)
- Skalierbarkeit pro Service (z. B. nur Payment-Service bei Lastspitzen)
- Polyglotte Entwicklung (unterschiedliche Programmiersprachen/Technologien pro Service möglich)
- Resilienz durch Entkopplung (ein Fehler legt nicht das Gesamtsystem lahm)
Praxisbeispiel:
Ein globaler Onlinehändler modernisierte sein altes Warenwirtschaftssystem. Schritt 1: Modularisierung in Kernbereiche (Katalog, Bestellungen, Zahlungen). Schritt 2: sukzessive Auslagerung in Microservices. Heute können Entwicklerteams unabhängig voneinander Features bereitstellen.
Wie Sie die Modernisierung Schritt für Schritt erfolgreich gestalten, zeige ich im folgenden Beitrag – mit erprobten Best Practices aus realen Projekten.








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